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Neustart oder Systemabsturz? Podiumsdiskussion zur Inklusionspolitik fordert politischen Aufbruch!

Berlin, 6. Mai 2025 – „Wir brauchen keinen Neustart – wir brauchen überhaupt erst einen Start!“ Mit dieser pointierten Aussage fasste Dr. Karsten Lippmann, Vorsitzender des ABiD-Instituts Behinderung & Partizipation (IB&P), die ernüchternde Bilanz vieler Teilnehmenden bei der Podiumsdiskussion „Neustart Inklusion“ zusammen. Eingeladen hatte das IB&P in Zusammenarbeit mit der ASH Berlin anlässlich des Europäischen Protesttags zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung.

In ihrem einleitenden Grußwort wies Prof. Dr. Bettina Völter, die Rektorin der ASH darauf hin, dass die Hochschule nicht nur ein Ort der Lehre, sondern auch der Raum für kritisches Denken und wenn nötig ein Raum für Protest gegen herrschende Politik und gesellschaftliche Ereignisse ist.

Den Zuhörenden im Audimax der Alice Salomon Hochschule Berlin wurde deutlich: Die Erwartungen an die Bundesregierung sind hoch – und der Frust über ausbleibende Fortschritte ebenso. Prof. Dr. Sigrid Arnade (ISL) ließ keinen Zweifel daran: „Es hat noch gar keinen Neustart gegeben. Gerade einmal 70 Zeilen des Koalitionsvertrags – also etwa 1,25 Prozent – betreffen die Belange behinderter Menschen. Dabei machen wir 16 Prozent der Bevölkerung aus.

Die Kritik am Status quo war vielstimmig: Statt echter Inklusion würden Systeme wie Förderschulen aufrechterhalten, Partizipation bleibe oft bloßes Lippenbekenntnis. Prof. Dr. Rebecca Maskos, Professorin für Disability Studies an der ASH Berlin sprach gar von einem „Systemabsturz statt Neustart“. Marcus Graubner, Vorsitzender des ABiD e.V., mahnte eindringlich: „Für viele sind Barrieren gar kein Problem, weil sie sie nicht wahrnehmen. Gerade deshalb müssen wir laut sein – wie am 5. Mai – und ein starkes Zeichen an die Politik senden.

Selbstermächtigung und Forschung gefordert

Prof. Dr. Rebecca Maskos betonte die Rolle von Selbstvertretung und Empowerment: „Wir müssen als Expert:innen unserer eigenen Lebenswelt wahrgenommen werden.“ Sie plädierte für Förderprogramme zur aktivistischen Selbstermächtigung sowie für mehr Multiplikator:innen, die für das Thema Inklusion sensibilisieren.

Auch Forschung dürfe nicht zu kurz kommen, ergänzte Prof. Dr. Sigrid Arnade: Etwa zu den tatsächlichen Kosten inklusiver Strukturen oder zu wirksamer Partizipation. „Wie teuer ist echte Inklusion wirklich – oder ist sie vielleicht sogar kostenneutral?“ fragte sie provokativ.

Kein Fortschritt ohne Beteiligung

Nicht ohne uns – denn uns betrifft alles“, brachte es Dr. Karsten Lippmann auf den Punkt. Sichtbarkeit und kontinuierliches Einmischen seien entscheidend.

Viel zu schnell vergingen die zwei Stunden Diskussion, moderiert vom stellv. IB&P-Vorsitzenden André Nowak, und die Veranstaltung verdeutlichte: Der Protesttag ist keine bloße Symbolik, sondern ein notwendiger Weckruf. In Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung, wie sie auch die Behindertenbewegung unter Druck setzt, brauche es entschlossene Stimmen, klare Forschung – und den politischen Willen zum Handeln. (Tanja Mohlala)

Die Veranstaltung wurde gefördert von der Aktion MENSCH.

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