Konferenz ABiD-Institut Behinderung & Partizipation auf Internationalem Seminar in Armenien – Impulse, Kraft und Mut für die Zukunft
Vom 11. bis 13. Oktober 2022 fand in Jerewan eine internationale behindertenpolitische Konferenz statt, an der Vertretungen von Behindertenorganisationen aus 11 Ländern (Armenien, Belarus, Deutschland, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan, Moldau, Russland, Tadschikistan, Ukraine, Usbekistan) teilnahmen. Im Mittelpunkt des Erfahrungsaustausches standen das Thema „Unabhängiges Leben vom Menschen mit Behinderungen in der Pandemie und in der Zeit danach“ sowie die Artikel 19 (Selbstbestimmt Leben) und 20 (Persönliche Mobilität) der UN-Behindertenrechtskonvention. In den Vorträgen wurden von allen Ländern konkrete Aktivitäten zur Umsetzung der beiden Artikel und deutliche Fortschritte in der Behindertenpolitik präsentiert. Deutschland wurde vertreten vom ABiD-Institut Behinderung & Partizipation e.V. durch André Nowak und Monika Tharann.
Eingeladen hatten der Dachverband der armenischen Behindertenorganisationen UNISON in Kooperation mit der Hauptabteilung Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten der Vereinten Nationen/ UNDESA und dem Ministerium für Arbeit und Soziales der Republik Armenien.
Ein kultureller Höhepunkt war ein kleines Konzert des inklusiven Kammerchors PAROS. Zum Programm gehörte auch ein Besuch im Katastrophenschutzministerium, in dem 39 Menschen mit Behinderungen arbeiten. Beim Gespräch im Lagezentrum wurden wir über die Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen in Katastrophensituationen informiert. Weitere Programmpunkte waren ein Besuch des Ararat-Museums, eine Führung durch das Matenadaran (das Institut für antike Handschriften), sowie ein Ausflug zu den Kirchenschätzen in der Stadt Etschmiadzin. Die zweitägige Konferenz bot auch eine gute Gelegenheit für zahlreiche Gespräche mit einzelnen Behindertenorganisationen, auch zu künftigen gemeinsamen Vorhaben.
Kurzer Rückblick
Der Allgemeine Behindertenverband in Deutschland „Für Selbstbestimmung und Würde“ e.V. (ABiD) arbeitet seit 2006 mit Behindertenorganisationen in den Staaten auf dem Gebiet der früheren UdSSR zusammen. Nach der Verabschiedung der Behindertenrechtskonvention in der UNO-Vollversammlung 2006 und deren Inkrafttreten 2008 hatten sich nationale Verbände im postsowjetischen Raum im Jahr 2009 zum Internationalen Verbund der Dachorganisationen von Menschen mit Behinderungen (IVB) zusammengeschlossen. Im November 2014 unterzeichneten ABiD und IVB in Berlin eine Kooperationsvereinbarung, die ihre Zusammenarbeit auf eine feste Grundlage stellte. Besonders Dr. Ilja Seifert hatte sich an der Spitze des ABiD und später des von ihm mitgegründeten IB&P besonders engagiert und die Zusammenarbeit mit Behindertenorganisationen in allen postsowjetischen Ländern wesentlich mit auf den Weg gebracht. Er gehörte zu den Mitbegründern des IVB und war gleichzeitig Brückenbauer zwischen dem IVB und dem Europäischen Behindertenforum (EDF), was von den IVB-Mitgliedsorganisationen sehr hoch geschätzt wurde.
Teilweise auch mit Unterstützung des ABiD aus Deutschland wurden fast jedes Jahr internationale Treffen des IVB in verschiedenen Ländern durchgeführt. Erfahrungsaustausche zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention fanden in der Ukraine, in Belarus, Kasachstan, Georgien, Tadschikistan und schon mehrfach in Deutschland statt. Die letzten Konferenzen waren 2018 in Taschkent (Usbekistan) und 2019 in Berlin sowie in Baku (Aserbaidschan).Dabei arbeitete der ABiD auch mit dem Bundesverband Deutscher West-Ost-Gesellschaften (BDWO), der Stiftung West-Östliche Begegnungen, dem Auswärtigen Amt und der AktionMENSCH zusammen. Darüber hinaus gab es mit Hilfe des ABiD projektfinanzierte Teilnahmen für Mitglieder des IVB an Foren in weiteren Ländern.
Im Jahr 2017 gelang es dann dem tadschikischen Dachverband, die UNDESA als Partner der internationalen Konferenzen zu gewinnen und diese Treffen damit langfristig auf eine gesicherte finanzielle Basis zu stellen.
Gedenken an Ilja Seifert in Jerewan
Dieses Brückenbauen zwischen Ost und West setzt das IB&P seit seiner Gründung 2018 fort – bis zum 10. September 2022 unter der Leitung von Ilja Seifert. Nach unserer Ankunft in Jerewan war es sehr berührend, dass alle Vertreterinnen und Vertreter des IVB bereits auf den allerersten Begegnungen mit uns im Hotel spontan ihr Beileid zum Ableben von Ilja Seifert zum Ausdruck brachten. Auch zu Beginn des internationalen Seminars baten die armenischen Gastgeber um eine Schweigeminute stillen Gedenkens an Ilja Seifert und an den im Vorjahr verstorbenen Vorsitzenden des kasachischen Behindertenverbandes Ali Amanbaev.
In seinem Redebeitrag übermittelte André Nowak zunächst die Grüße des ABiD-Vorsitzenden Marcus Graubner und erinnerte ebenfalls an Ali Amanbaev sowie an Ilja Seifert. Er berichtete über wichtige Daten zur Umsetzung der Konvention in Deutschland und betonte die Relevanz der Zusammenarbeit von betroffenen Menschen, Politik und Wirtschaft, der Einheit von Bilden, Fordern und Fördern und die Notwendigkeit von Barrierefreiheit in der gesamten Infrastruktur. Auch im reichen Deutschland kann nach 13 Jahren Konvention von vollständiger Barrierefreiheit im öffentlichen Personenverkehr noch keine Rede sein und offene Kritik daran ist weiter geboten. Denn die Umsetzung der Konvention geschieht nicht von selbst – sie ist ein schwieriger und langwieriger Prozess.
Erstmalig waren zur Konferenz auf Initiative Oleg Serezhin, Leiter der Abteilung Technische Hilfe und Partnerschaften, Abteilung für integrative soziale Entwicklung der UNDESA, neben den nationalen Behindertenverbänden auch Vertretungen der zuständigen Ministerien eingeladen. Ziel war dabei, dass die praxisbezogenen Berichte der gesellschaftlichen Organisationen über die Probleme vor Ort in ihren Ländern auch die nationalen Behörden erreichen. Sie können so den offenen und von Vertrauen geprägten Disput auf Augenhöhe miterleben, der in diesem partizipativen Format in den staatlichen Stellen der IVB-Mitgliedsländer meist so nicht üblich ist.
AIle Teilnehmenden waren sich einig, für die zukünftige Entwicklung des IVB die junge Generation in die Arbeit schrittweise einzubinden. So soll auf Vorschlag der UNDESA künftig jeder nationale Verband auch junge Mitglieder zur Teilnahme an den internationalen Treffen gewinnen.
Berichte der ukrainischen Teilnehmenden aus erster Hand am Rande der Konferenz zur gerade erfolgten Bombardierung von Kiew haben uns noch einmal besonders geschockt, sprachlos gemacht. Und das besondere Leid der Menschen mit Behinderungen in der Ukraine nach zwei Jahren Corona und nun vergrößert durch den russischen Angriffskrieg haben unserer Betroffenheit noch mal eine neue Dimension verliehen. Auch die militärischen Konflikte zwischen Armenien und Aserbaidschan sowie zwischen Kirgisistan und Tadschikistan spielten in den Gesprächen eine Rolle.
Dennoch konnte die Konferenz in einer guten Atmosphäre stattfinden, weil alle Beteiligten die Kommunikation miteinander gerade auch in dieser schwierigen Zeit wollten und weil es verlässliche Partner gibt, die auf der Basis von gewachsenem gegenseitigem Vertrauen Wege und Mittel für den wichtigen grenzüberschreitenden Austausch finden. Die Konferenz hat einmal mehr gezeigt, dass internationale gesellschaftliche Partner dort, wo der Wille zur Verständigung besteht, auch einen Weg finden, im Gespräch zu bleiben, gemeinsam zu handeln und sich auch mit all ihrer Gegensätzlichkeit um einen Konferenztisch versammeln können – Impulse, Kraft und Mut für die Zukunft sind das Ergebnis!
Monika Tharann und André Nowak










